Wer ist Jindra Capek?
Sehr verehrte Besucherinnen, sehr geehrte Besucher dieser Ausstellung,
gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Jan Příbaň.
Jindra Čapek und ich sind alte Freunde, weshalb mich Herr Ivo Janoušek, Stellvertretender Bürgermeister und Kulturreferent der Stadt Böhmisch Krumau, gebeten hat, Ihnen etwas über den Künstler zu berichten. Zu Jindras Buchillustrationen gibt es weltweit zahlreiche Rezensionen. Ich möchte ihn jetzt ein wenig anders vorstellen.
Wir haben uns vor etwa 50 Jahren in der süddeutschen Stadt Freiburg kennengelernt. Damals waren wir Studenten - Jindra an der Akademie der Bildenden Künste, ich an der Medizinischen Fakultät. Wir durchlebten eine berauschende Zeit und genossen akademische Freiheit in der schönen Stadt am Fuße des Schwarzwalds.
Ich lebte in einer Wohngemeinschaft in einem alten, etwas verwahrlosten Haus im Stadtzentrum. Jindra besuchte uns öfter. Einmal kam er an einem Vormittag vorbei: eher eine kleine athletische Gestalt in abgetragenen Jeans und spanischen Stiefeln aus hellem Leder. Auf seinem T-Shirt prangte über die ganze Brust die Zigarettenreklame der „Gitanes“ mit der tanzenden Zigeunerin. Im Knopfloch der Jacke steckte eine frische rote Nelke. Jindra sah imposant aus. Garantiert hatte er in jener Nacht nicht zuhause geschlafen. Er betrat unsere Küche, wo wir gerade Kaffee tranken, zog ein Päckchen Tabak aus der Jacke und bat uns um Blättchen. Keiner konnte damit dienen. Jindra riss flink von einer umherliegenden Zeitung ein Stück Papier ab und begann seine Zigarette zu drehen. Die anderen warnten ihn vor den Giftstoffen im Zeitungspapier. Ihre Besorgnis schmetterte Jindra mit den Worten ab, die Rotarmisten hätten Zigaretten mit dem Papier der kommunistischen Prawda gedreht und sich damit bis nach Berlin durchkämpfen können. Er nahm einen Bleistift und zeichnete auf der Europakarte, die in unserer Küche über eine ganze Wand geklebt war, in den Raum von Berlin einen Rotarmisten mit Maschinenpistole. Der sah herrlich aus. Neulich traf ich einen ehemaligen Mitbewohner, noch heute erinnert er sich an die Geschichte.
Gerne fuhr ich damals mit Freunden in die Vogesen westlich von Freiburg und natürlich durfte Jindra Čapek bei diesen Ausflügen nicht fehlen. Irgendwie erinnerten uns die Vogesen an unseren Böhmerwald. Wir zelteten immer an einem kleinen See. Der Ort war unglaublich romantisch: der See halb bewachsen mit Seerosen, abends hörte man das Gequake von Fröschen, am Ufer standen alte Tannen. Eines Tages gingen wir in ein nahe gelegenes Städtchen zum Einkaufen. Wir waren unrasiert und rochen nach dem Lagerfeuer. In einem kleinen Selbstbedienungsladen erregten wir gleich Aufmerksamkeit: Verdächtige Individuen, die sich in einer merkwürdigen Sprache unterhielten. Vielleicht sahen wir aus, als wären wir auf der Flucht vor dem Gesetz. Besonders Jindra fiel auf mit seinem Schweizer Militärmantel, der ihm bis an die Knöchel reichte, und dazu trug er seine geliebten Stiefel – übrigens manchmal erinnert auch noch heute sein Aufzug an das damalige Outfit. Schon damals ein Feinschmecker, schlug er vor, wir sollten uns eine Hasenpastete kaufen. Doch keiner von uns kannte das französische Wort für Hase. Jindra griff flugs nach einem leeren Karton und zeichnete darauf einen fast lebensgroßen Hasen. Er gab sich, wie immer, Mühe - sein Hase sah aus wie der von Albrecht Dürer. An der Metzgereitheke deutete er auf sein Bild mit den Worten “paté, s’il vous plait”. Der Metzger erstrahlte über das ganze Gesicht, auch im Laden erheiterte sich die Atmosphäre, man lud uns sogar zu einer Weinprobe ein. Vor kurzem erinnerte ich Jindra an diese Episode und er kommentierte sie mit den Worten: ”Da siehst Du, wie man sich mit Hilfe von Bildern schön verständigen kann, so sind die ersten Buchstaben entstanden.”
Der „Hase von Dürer“ blieb leider nicht erhalten. Auch der Militärmantel verschwand - dafür sorgte Jindras Freundin und spätere Ehefrau, die ihn in diesem Mantel nicht gern sah. Aber die Szenerie am kleinen See verewigte Jindra in einem schönen Ölbild im Stil der alten Meister, welche er schon als Kind in den südböhmischen Schlössern bewundert hatte. Fast könnte man sagen, mit dieser Episode endete die Ära seiner freien Malerei. Zwar verließ er sie nie völlig, doch er begann sich dann der Illustration zu widmen, mit der er schon immer geliebäugelt hatte. Gleich sein erstes Buch in Zusammenarbeit mit dem schweizer Schriftsteller Max Bolliger wurde ein nachhaltiger Erfolg und erschien in vielen Sprachen.
Nun, was soll man noch über Jindras künstlerisches Schaffen sagen? Es ist fantasievoll, charakterisiert durch feine, präzise Arbeit und verrät, dass dieser Künstler sich von alten deutschen und niederländischen Meistern inspirieren lässt. Letztlich aber: machen Sie sich bitte selbst einen Eindruck. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Erlebnis.